Die Krux mit der Expertise: „Expert:innen“ im 20. Jahrhundert zwischen Wissen(-schaft), öffentlichem Diskurs und Politik

Die Krux mit der Expertise: „Expert:innen“ im 20. Jahrhundert zwischen Wissen(-schaft), öffentlichem Diskurs und Politik

Veranstalter
Stefan Messingschlager, Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg; Paul Schröck, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Veranstaltungsort
Hamburg
PLZ
22043
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
19.09.2024 - 20.09.2024
Deadline
31.03.2024
Von
Stefan Messingschlager, Fachgruppe Geschichte, Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften, Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg

Die Krux mit der Expertise: „Expert:innen“ im 20. Jahrhundert zwischen Wissen(-schaft), öffentlichem Diskurs und Politik

In den letzten Jahren wurde viel über Expert:innen, ihre Rolle in Politik und Öffentlichkeit sowie über ihren damit verbundenen Einfluss diskutiert. In unserem Workshop wollen wir gemeinsam über das Phänomen von Expertise im Spannungsfeld von Wissen(-schaft), öffentlichem Diskurs und Politik nachdenken und erschließen uns das Konstrukt der Expertise damit als vielgestaltiges und dynamisches Phänomen.

“Experts” in the 20th Century: Between Academia, Public Discourse, and Politics

In recent years, there has been much discussion about experts, their role in politics and the public sphere and the influence they exert. In our workshop, we want to reflect together on the phenomenon of expertise between academia, public discourse and politics and thus open up the construct of expertise as a multifaceted and dynamic phenomenon.

Die Krux mit der Expertise: „Expert:innen“ im 20. Jahrhundert zwischen Wissen(-schaft), öffentlichem Diskurs und Politik

In den letzten Jahren wurde viel über Expert:innen, ihre Rolle in Politik und Öffentlichkeit sowie über ihren damit verbundenen Einfluss diskutiert. Prägnantestes Beispiel dafür ist die Corona-Pandemie; ab 2020 kam unter anderem Virologinnen und Epidemiologen, aber auch vielen weiteren (selbsternannten) Expert:innen eine herausgehobene Bedeutung im öffentlichen Diskurs zu. Vergleichbares lässt sich auch für die Internationale Politik konstatieren. Insbesondere seit 2022 melden sich im Zusammenhang mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, aber auch im Rahmen der geopolitischen Konfrontation zwischen den USA und China, nahezu täglich „Russland-Expert:innen“, „China-Expert:innen“ oder „Militär-Expert:innen“ zu Wort, um ihre Deutung zu den Ereignissen und Entwicklungen massenmedial zu vermitteln.

Daran zeigt sich: Auf der einen Seite sind Expert:innen aus dem öffentlichen Raum kaum mehr wegzudenken, auf der anderen Seite werden die Begriffe Expert:in und Expertise weitgehend unreflektiert genutzt. Vor diesem Hintergrund haben sich Geistes- und Sozialwissenschaftler:innen in den vergangenen Jahrzehnten darum bemüht, Expert:innen und ihre Expertise selbst zum Gegenstand der Forschung zu machen.

Mit unserem Workshop im September 2024 in Hamburg schließen wir daran an: An ausgewählten Untersuchungsgegenständen vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute wollen wir gemeinsam über das Phänomen von Expertise im Spannungsfeld von Wissen(-schaft), öffentlichem Diskurs und Politik nachdenken. Wir verstehen Expert:innen nicht essentialisierend, sondern fragen nach einer reflexiven Verständigung über zentrale Kategorien und Begriffe. Mit diesem Ansatz wollen wir das Konstrukt der Expertise als vielgestaltiges und dynamisches Phänomen erschließen, das den Blick nicht nur auf die Praxis und Interaktionen von Expert:innen richtet, sondern auch die Aushandlungen und Zuschreibungen von Expertise untersucht wie auch die Profiliierungs- und Netzwerkstrategien von Expert:innen. Wie und zwischen wem wird ausgehandelt, wer „Expert:in“ ist? Wie kann man „Expertise“ in Abgrenzung zu Wissen oder Kompetenz fassen? Ist Expertise gleichzusetzen mit „Expert:innenwissen“? Wie ist der Zusammenhang zwischen Wissen, Wissenschaft und Expertise in ausgewählten Zeitperioden und in unterschiedlichen kulturellen Räumen? In welchen Bereichen zeigt sich eine beratende Funktion und praktische Vermittlung von Expert:innen (Politik, Wirtschaft)? Wie wird Expertise in einem spezifischen Feld zum Gegenstand von Zuschreibungen und Aushandlungsprozessen? Welche Bedeutung kommen institutionellen Strukturen als Bedingungsfaktoren von Expertise zu und wie lässt sich die Agency der Expert:innen fassen?

Die Workshop-Beiträge können sich folgenden Leitperspektiven annehmen, sind aber thematisch nicht darauf beschränkt:

- Kategoriale Überlegungen: Historizität von Expert:innenverständnis, Expertise als Gegenstand diskursiver Aushandlungen und Zuschreibungen in öffentlichem Diskurs und Politik (Selbst- und Fremdzuschreibung)
- Wissen(-schaft) und Expertise: Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Expertise, Verwissenschaftlichung von Expertise
- Selbstreflexionen: Rollenverständnis und Self-Fashioning von Expert:innen (Berater, Mittler, Intellektuelle), Statusgewinn und Statusverlust, Einschreiben in (Denk-)Traditionen
- Netzwerke(n): Praxis des Netzwerkens, Netzwerkbildung als Ressource, Strategie und Produkt von Interaktionen, Ansätze historischer Netzwerkanalyse
- Praxis I: Öffentlicher Diskurs: Selbst- und Fremdinszenierungen, Öffentlichkeitskommunikation und mediale Resonanzräume, Zuschreibungen von Expertise, Glaubwürdigkeits- und Authentizitätsstrategien, Deutungsansprüche von Expert:innen
- Praxis II: Politik und Wirtschaft: Gestaltungsansprüche, Praxis des Beratens und Vermittelns, methodische Reflexionen zur Wirkmächtigkeit von Expert:innen
- Agency und Strukturen: Einbindung von Expert:innen, Abhängigkeits- und Verflechtungsstrukturen, Entstehung und Wandel von Handlungsspielräumen
- Expertenkulturen: Sprache, Habitus, Konjunkturen, Zäsuren, Konkurrenzen, Expert:innenkartelle, Kritik und Krisen

Zur Teilnahme an unserem Workshop laden wir alle ein, die sich auf kritische Weise mit Expert:innen, ihrem Handeln und ihrer Selbstreflexion befassen möchten. Die empirischen Gegenstände, mit denen wir uns den Leitperspektiven annähern wollen, sollten vorzugsweise aus dem 20. Jahrhundert stammen, Beiträge aus anderen Zeitperioden heißen wir aber ebenfalls ausdrücklich willkommen. Neben Fallstudien und kategorialen Reflexionen aus dem westlich-europäischen Kontext freuen wir uns vor allem auch auf Tiefenbohrungen, bspw. aus dem osteuropäischen oder asiatischen Kontext. Der Workshop ist interdisziplinär angelegt; wir begrüßen Beiträge nicht nur aus der Geschichtswissenschaft, sondern auch aus Disziplinen wie bspw. der Rechtswissenschaft, Philosophie, Politikwissenschaft, Soziologie, Ethnologie oder der Regionalforschung. Vorzug wird laufenden Forschungsprojekten aus Promotions- und Habilitationsvorhaben gegeben, der Workshop steht aber grundsätzlich allen Interessent:innen offen. Beiträge können auf Deutsch oder auf Englisch präsentiert werden, die Workshop-Sprache ist Deutsch.

Wir freuen uns, dass wir Herrn Prof. Dr. Caspar Hirschi (Universität St. Gallen) für eine Keynote zum Workshop-Thema gewinnen konnten. Sein Vortrag trägt den Titel:
„Wissenschaftliche Expertise in den Medien und in der Politikberatung: Das Spannungsverhältnis einer Doppelrolle von Oppenheimer bis Drosten“

Wir bitten um die Einreichung von Projektskizzen (max. 2 Seiten) und eines knappen wissenschaftlichen Lebenslaufs zum 31.03.2024 an die Organisatoren messingschlager@hsu-hh.de und paul.schroeck@geschichte.uni-freiburg.de

“Experts” in the 20th Century: Between Academia, Public Discourse, and Politics

Recent years have seen a surge in discussions regarding the role of experts in politics and the public sphere, along with their corresponding influence. A notable example is the COVID-19 pandemic; since 2020, virologists, epidemiologists, and various other experts have gained considerable prominence in public discourse. Similar observations can be made in international politics. Especially since 2022, in the context of Russia's war of aggression against Ukraine and the geopolitical confrontation between the USA and China, “Russia experts”, “China experts”, or “military experts” have been appearing almost daily in the media to present their interpretations of events and developments.

This shows that, on one hand, experts are now an indispensable part of the public sphere; on the other hand, the terms “expert” and “expertise” are often used without much reflection. Against this backdrop, humanities and social science scholars have endeavored over the past decades to make experts and their expertise a subject of research.

Our workshop in Hamburg in September 2024 aims to build upon these discussions: Using selected case studies from the beginning of the 20th century to the present, we aim to collaboratively explore the phenomenon of expertise in the tension field between academia, public discourse, and politics. We perceive experts not in an essentializing way, but rather seek a reflexive understanding of key categories and concepts. With this approach, we want to explore the construct of expertise as a multifaceted and dynamic phenomenon, focusing not only on the practice and interactions of experts but also on the negotiations and attributions of expertise, as well as the profiling and networking strategies of experts. How and between whom is it negotiated who is an “expert”? How can “expertise” be defined in contrast to knowledge or competence? Is expertise synonymous with “expert knowledge”? What is the relationship between knowledge, academia, and expertise in selected time periods and in different cultural contexts? In which areas does an advisory function and practical mediation of experts become apparent (politics, economy)? How is expertise in a specific field subject to attributions and negotiation processes? What significance do institutional structures play as conditioning factors of expertise, and how can the agency of experts be understood?

The workshop contributions may address the following guiding perspectives but are not limited to them:
- Categorical Considerations: Historicity of the understanding of experts, expertise as a subject of discursive negotiations and attributions in public discourse and politics (self- and external attribution)
- Academia and Expertise: Relationship between knowledge, academia, and expertise, academicization of expertise
- Self-Reflections: Role understanding and self-fashioning of experts (advisors, mediators, intellectuals), gain and loss of status, inscribing in (intellectual) traditions
- Networking: Practice of networking, network formation as a resource, strategy, and product of interactions, approaches to historical network analysis
- Practice I: Public Discourse: Self- and external presentations, public communication and media resonance spaces, attributions of expertise, credibility and authenticity strategies, claims of interpretation by experts
- Practice II: Politics and Economy: Claims to shape, practice of advising and mediating, methodological reflections on the effectiveness of experts
- Agency and Structures: Integration of experts, dependency and interconnection structures, emergence and change of action spaces
- Expert Cultures: Language, habitus, trends, ruptures, competitions, expert cartels, criticism, and crises

We invite all those who wish to critically engage with experts, their actions, and their self-reflection to participate in our workshop. The empirical subjects with which we want to approach the guiding perspectives should preferably be from the 20th century, but we also welcome contributions from other time periods. Alongside case studies and categorical reflections from the Western-European context, we are particularly interested in in-depth examinations from Eastern European or Asian contexts. The workshop is interdisciplinary in nature; we welcome contributions not only from history but also from disciplines such as law, philosophy, political science, sociology, ethnology, or regional studies. Priority will be given to ongoing research projects from doctoral and postdoctoral work, but the workshop is open to all interested parties. Contributions can be presented in German or English, with German being the workshop language.

We are pleased to announce that Professor Caspar Hirschi (University of St. Gallen) will deliver a keynote speech.

Please submit project outlines (max. 2 pages) and a brief academic CV by March 31st, 2024, to the organizers messingschlager@hsu-hh.de and paul.schroeck@geschichte.uni-freiburg.de

Kontakt

Stefan Messingschlager
Helmut Schmidt University Hamburg
E-Mail: messingschlager@hsu-hh.de

Paul Schröck
Albert-Ludwigs-University Freiburg
E-Mail: paul.schroeck@geschichte.uni-freiburg.de